Die Begriffe ‚Piercing‘ oder ‚Piercen‘ leiten sich von dem englischen Verb ‚to pierce‘ ab (stechen, durchbohren). Dahinter verbergen sich verschiedene Techniken, Schmuckstücke mit einer Hohlnadel, einer ‚Piercing-Pistole‘ oder einer Braunüle am Körper zu befestigen.

In den letzten Jahren hat sich das ‚Piercen‘ in den westlichen Industrieländern bei Jugendlichen zu einem Kult entwickelt. Umfragen zufolge ist der häufigste Grund diese speziellen Schmuckstücke zu tragen, der Wunsch nach einem ästhetischen Äußeren. Schätzungen gehen davon aus, dass inzwischen jeder 5. Jugendliche ‚gepierct‘ ist.
Gesicht, Mundhöhle, Bauchnabel, Brustwarzen und äußere Geschlechtsorgane werden mit trendigen Objekten aus chirurgischem Stahl, Niobium oder Titan versehen, die die Form von Ringen, Nägeln oder Stiften in Hantelform haben. In den letzten Jahren häufen sich auch die ‚Piercings‘ im Bereich der Zunge und der Lippen, in Höhe der Mitte der Kinn-Lippen-Furche (Labiomentalfalte) und gelegentlich der Wange.

Piercing im Mundbereich
Es gibt drei verschiedene Varianten:

  1. Das seitliche und mittlere ‚Lippenpiercing‘, bei dem ein Ring das Gewebe an der Lippenrot-Weiß-Grenze durchdringt.
  2. Das ‚Labretpiercing‘, das sich in der Mitte der Kinn-Lippen-Furche befindet. Bei diesem wird im Mundbereich ein Stab mit einer T-förmigen Platte verankert; auf der äußeren Haut werden verschiedene Aufsätze aufgeschraubt.
  3. Das ‚Zungenpiercing‘, das als Ring oder Stab unterschiedlicher Länge und Dicke in der Zungenmitte gestochen wird und dessen beide Enden mit kugeligen Kappen verschraubt werden.

Wundheilung und Fremdkörper
Im und am Körper eingesetzte Gegenstände sind zunächst als Fremdkörper im Innern der durchbohrten Strukturen zu betrachten. Erst nach vollständiger Verheilung der Wundflächen (Epithelialisierung) ist der Fremdkörper von den umgebenden Körperstrukturen und den tieferen Schichten isoliert. Solange die Auskleidung mit Haut fehlt, oder falls diese im Zuge von Manipulationen wieder einreißt, besteht eine ‚offene Türe‘ für Krankheitserreger in das Körperinnere.

Risiken und Komplikationen durch Piercing im Mundbereich
Gewebebeeinträchtigungen entstehen sowohl unmittelbar beim Einsetzen eines Piercings, als auch später im Zuge verursachender Faktoren wie Gewicht oder Dehnungen. Infektionen an der Schleimhaut/Haut oder im Gesamtorganismus können ebenfalls auftreten.

Hygiene
Verstöße gegen die Hygieneregeln gelten als die Hauptursache für Infektionen bei und nach dem ‚Piercen‘. Als Folge können virale und bakterielle Komplikationen auftreten. Außer akut auftretenden Infektionen können auch länger andauernde (chronische) Entzündungen, Überempfindlichkeiten auf chemische Komponenten von eingesetzten Piercing-Objekten oder Allergien auftreten. Körpereigene Abwehrreaktionen auf den Fremdkörper wurden ebenfalls beschrieben [Ng et al. 1997].Die Komplikationen können sich auf die Mundhöhle beschränken (= lokale Komplikationen) oder Auswirkungen auf den gesamten Organismus haben (= systemische Komplikationen).
Bei den Auswirkungen am Ort des Geschehens (am Piercing) überwiegen vornehmlich die mechanisch-traumatischen Ursachen.

Schäden an Zahn- und Zahnfleisch
Unerwünschte Komplikationen beim Tragens von ‚Piercing-Schmuck‘ können Schäden an Zähnen und Zahnfleisch, Verletzungen des Zahnschmelzes, Absplitterungen, Schmelzrisse und Zahndurchbrüche beim beabsichtigten und unbeabsichtigten Beißen auf die Metallkugel sein.
‚Piercing-Schmuck‘ wirkt als ein ständiger Reiz auf die Mundschleimhaut und das Zahnfleisch. Das Zahnfleisch zieht sich daraufhin zurück, die Wurzeloberfläche angrenzender Zähne liegt frei. Eine erhebliche Schmerzempfindlichkeit kann die Folge sein. Zu diesem Zeitpunkt besteht akuter Handlungsbedarf.

Mögliche lokale Komplikationen (auf die Mundhöhle beschränkt):

  • Wundinfektionen,
  • Narben,
  • Nervenschäden,
  • Beschädigung zahnärztlicher Kronen und Brücken,
  • Zahnverlust,
  • Parodontale Rezessionen (Zahnfleischrückgang),
  • Sprachbehinderung,
  • Lückenbildung der Zähne,
  • Ödeme (Schwellungen),
  • Funktionsstörungen,
  • Hämatome (blauer Fleck),
  • Schmelzabrasionen (Zahnschmelzabrieb),
  • Schmelz-Dentin-Frakturen (Zahnfrakturen),
  • Blutungen und
  • Traumatisierung (Verletzung) der Zungenschleimhaut.

Hinweis
Nach dem ‚Piercen‘ der Zunge können heftige Schmerzen auftreten und die Zunge kann so stark anschwellen, dass eine Nahrungsaufnahme in den ersten Tagen gar nicht oder nur bedingt möglich ist.
Die Zunge ist ein gut durchblutetes Organ, sodass das Durchstechen der Zunge beim ‚Piercen‘ enorme Blutungen zur Folge haben kann. Kommt es zu einer Verletzung eines größeren Blutgefäßes, kann eine schwer beherrschbare Blutung die Folge sein und notfallmedizinische Hilfe notwendig werden.

Weitere Risiken: Verschlucken
Beim Lösen zusammengeschraubter ‚Piercing-Teile‘ besteht außerdem die Gefahr, dass diese verschluckt oder durch Aspiration in die Lunge geraten können.

Fazit
Auf Grund der aufgezeigten Risiken und Komplikationen, die durch das Tragen von ‚Piercings‘ entstehen können, ist ‚Piercing-Schmuck‘ aus medizinischer und zahnmedizinischer Sicht abzulehnen. Entschließt man sich dennoch zu einem ‚Piercing‘ im Mundbereich, sind regelmäßige Kontrollen der Mundhöhle und der Zähne anzuraten. Bei Verdacht auf eine Gesundheitsschädigung sollte unverzüglich ein Arzt aufgesucht werden. Ziel ist es, mögliche Schädigungen oder Verletzungen rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln.